Am Montag war es wieder soweit. Zur besten Sendezeit im öffentlich rechtlichen, traf sich ein halbes Dutzend Auskenner um sich in endlosen Argumenten zu erschöpfen, weshalb WIR keine Schuld mehr am Holocaust haben. Natürlich nicht ohne hinter jeden Absatz „Wehret den Anfängen“ zu setzen…
Die Debatte war schräg, wie auch die Teilnehmer. Ein Auschwitzüberlebende die sich sichtlich vebog, nur um nicht als nörgelnde Jüdin zu gelten, ein paar Beisitzer die unermüdlich den Unterschied zwischen ewigen Gedenken und aktiver Schuld hervorheben zu suchten und eine spätpupertäre Möchtegern Politikerin die bewies, dass man nicht lange über Themen nachdenken muss um eine Meinung zu haben…
Alles in allem war die Sendung bestimmt ein Erfolg und hat der deutschen Seele geschmeichelt. Doch ist es so einfach? Wir haben keine Schuld? Ruhe geben, Feierabend und irgendwo in die Pampa noch ne Gedenkstätte setzen, in die unsere Schulklassen eh nicht mehr gehen?
Schuld. Unsere Schuld, was ist damit. Ist unsere heutige Generation wirklich frei davon? Welche Schuld sollte überhaupt bestehen können? Aber von vorne.
Was ist schuld?
Wikipedia sagt dazu:
Heute herrschend ist der von Frank begründete[1] normative Schuldbegriff, wonach Schuld die Vorwerfbarkeit vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens bedeutet.[2] Diese Vorwerfbarkeit des schuldhaften Verhaltens beruht auf dem Gedanken der Willensfreiheit, soweit sie die Tatschuld berührt. Davon zu unterscheiden sind die Lebensführungsschuld und die Charakterschuld.
Wie kann Schuld getilgt werden?
Um sich einer Schuld zu entledigen ist es erst einmal wichtig zu reflektieren, die Schuld an zu erkennen, sich selbst der Schuld bewusst zu werden. Danach kann durch Wiedergutmachung oder Strafe von einer Entschuldigung gesprochen werden. Die Formen hierfür sind vielfältig.
Klar, wir haben etliche Kriegsverbrecher hingerichtet. Es sind auch unzählige in den Knast gegangen. Aber welcher Part kommt unseren eigenen Großeltern zu? Erzählt DEIN Opa auch noch die wunderbar, romantischen Geschichten von Afrika? Oder war er vielleicht gar nicht an der Front (weil er in wichtigen Lagern arbeitete)? Wo sind die zigtausenden Lagerwärter und Aufseher heute? Ich kenne nur Opas die irgendwo, Mechaniker in Afrika gewesen sein wollen… Aber gut. Auch wenn es uns interessieren sollte, was unsere nächsten und liebsten Verwandten für eine persönliche Schuld tragen. Auch wenn es uns interessieren sollte ob sie sich dessen jemals bewusst geworden und ob sie jemals offen dafür Verantwortung übernommen haben es ist nicht unsere Schuld!
Wir haben keinen getötet. Wir haben niemanden vertrieben. Wir haben niemand eingesperrt. Aber wir decken noch heute die Täter. Wir wohnen heute in den Häusern der Opfer, wir profitieren massivst von damaligem Unrecht.
Schauen wir uns das sogenannte Wirtschaftswunder an. Einen Anteil an diesem sogenannten Wunder hat die amerikanische Hilfe. Die zweite Zutat ist jedoch nicht der deutsche Fleiß (denn der französische Aufbaufleiß war nicht schlechter), die fehlende Zutat ist jüdisches Vermögen! An dem haben sich Unternehmen wie die Lufthansa, BMW, Volkswagen, Thyssen Krupp usw. usf. reichlich bedient. Immobilien, Aktien, Barvermögen, Maschinen, Zwangsarbeit. Die Kassen der Megabonzen waren nach dem Krieg nicht nur durch den Krieg als solches gefüllt.
Familien wie die Quandts (BMW) machten Jahrzehnte danach noch ein großes Geheimnis aus den Ursprüngen ihres Vermögens. Der ein oder andere Konzernlenker saß vielleicht ein paar Jahre im Bau. In ganz wenigen Ausnahmen gab es auch winzige Entschädigungszahlungen, aber wäre es je zum Wirtschaftswunder gekommen, wenn jedem Zwangsarbeiter rückwirkend Lohn und eine Entschädigung gezahlt worden wäre? Wenn jeder Cent Barvermögen und jede Immobilie, gern auch den rechtmäßigen Erben, zurück übereignet worden wäre?
Deutschland hat zwar ein paar lächerliche Milliarden gezahlt, die würden aber vielleicht gerade für den in Chemnitz enteigneten Immobilienbestand ausreichen. Wenn Deutschland heute ein U-Boot an Israel zum Vorzugspreis liefert gibt es einen Aufschrei. Wo ist selbiger wenn hunderte übrig gebliebene Lufthansa Zwangsarbeiter auf eine Beschäftigtenrente, Anerkennung oder wenigstens eine Entschuldigung, vergebens hoffen?
Denn Unternehmen wie die Lufthansa feiern mit geschwollener Brust 100 jährigen Geburtstag, bestreiten aber das es das Unternehmen zwischen 1933 und 1945 gab. Somit umgeht man eingestehen zu müssen zehntausende Zwangsarbeiter missbraucht und sich an Ihnen bereichert zu haben. Die letzten überlebenden dünnt derweil der Sensenmann aus. Das Problem klärt sich von selbst.
Was ist also mit meiner Schuld als Verbraucher, Angestellter, Manager? Wenn sich ein Fisch in einer Penny- Plastiktüte verfängt, läuft der deutsche Sturm und boykottiert den Gesamten Discounthandel. Das am Urlaubs Flugticket Blut klebt interessiert kein Schwein. Es gibt ja den Jauch der sagt:
„Wir haben keine Schuld, nur die Verantwortung uns zu erinnern“ (An was eigentlich, vielleicht an unsere Schuld?!)
Zum Schluss zwei kleine Geschichten
1. Autoliebe
Eine Liebe Freundin- gut sie ist etwas grün, etwas, links, etwas vegetarisch, aber das konsequent- hat eine echte, ehrliche, tiefe Abneigung gegen deutsche Autos. Am Anfang habe ich sie dafür ausgelacht. Selbst Skoda`s beschimpft sie als Nazi Auto. Doch nach reiflicher Betrachtung weiß ich das sie recht hat, ich ziehe den Hut! Den ein BMW, Mercedes, VW und Porsche IST ein Nazi Auto. Wenn Skoda von VW übernommen wurde, dann nur wegen hunderten Milliarden Beutereichsmark in den schwarzen Kassen des Konzerns!
2. Erbschaft
Ein bekannter in Berlin hatte geerbt. Ein Haus. Ein wunderbar altes Haus aus den 1910er Jahren. Sein Vater hatte das Haus in den frühen Neunzigern vom DDR Besitzer zurück erhalten, weil er selbst nach dem Krieg enteignet worden war. Der Großvater des Erben jedoch hatte das Haus für einen symbolischen Betrag einem fliehenden Juden abgeluchst.
Mein bekannter wusste das nicht. Sein Großvater hatte darüber nie gesprochen. Erst ich habe den Stein ins Rollen gebracht, doch einmal hinter die Geschichte des Gemäuers zu schauen.
Wie hat er reagiert? Er war verdutzt, hat die Erbschaft angenommen und lebt heute glücklich und zufrieden. Hat er Schuld? Hätte er, um sich wirklich offen als Schuldfrei bezeichnen zu dürfen nicht Nachfahren der echten Besitzer recherchieren müssen? Hätte er sie nicht entschädigen müssen, klar ohne seine Familie wäre das Anwesen verfallen, deshalb müssen es ja auch keine hunderttausende EUR sein, aber irgendwas, ein Cent, eintausend EURO, eine Geste, ein Wort?!
Wir sind nicht schuldfrei, wir haben nichts getan, wollen aber auch nichts wissen. Eine schuldfreie Gesellschaft würde nicht 100jährige Auschwitzüberlebende durch die Klassenzimmer treiben, sondern die damaligen Täter. Auf das sie mahnen, sich erklären, warnen!
Es wird in dem Artikel der Eindruck erweckt, als wäre das Wirtschaftswunder hauptsächlich durch geraubtes Vermögen zustande gekommen. Das sollte belegt und nicht einfach behauptet werden. Es sollte hierzu auch angemerkt werden, dass der Nationalsozialismus aufgrund der Kriegszerstörungen und der Verluste von stehendem Vermögen östlich von Oder und Neiße mit Sicherheit kein Netto-Gewinngeschäft war. Insofern haben die Deutschen insgesamt wirtschaftlich nicht von den Nazis profitiert. Aber auch da steckt natürlich der Teufel im Detail.
Ich habe mich z.B. mal gefragt, wie ich mich verhalten würde, wenn ich in einem Altbau leben würde, der früher einmal Juden gehört hat (die dann geflohen sind). Würde mich das schuldig machen? Ich würde versuchen, in Kontakt mit den Vorbesitzern zu kommen und sie einladen. Aber in jedem Fall wäre ich nicht schuldig.
Wechseln wir die Perspektive. Meine Oma ist gegen Kriegsende aus Schlesien geflüchtet, ihre Heimatstadt wurde polnisch, sie konnte nicht mehr zurück. Wenn ich nun irgendwie herausbekäme, in welchem Haus sie gewohnt hat, könnte ich dann zu Recht dieses Haus für mich beanspruchen? Wäre ich im Recht, wenn ich den heutigen Bewohnern Schuldgefühle machen würde? Nun muss man natürlich sagen, dass die Vorfahren der heutigen Bewohner möglicherweise ihrerseits aus dem früheren Ostpolen vertrieben wurden. Aber selbst wenn sie es der Familie meiner Oma mit Gewalt genommen hätten, ich würde es den Nachfahren nicht anlasten wollen. Ich hätte nicht das Recht dazu, und ich empfinde einen gewissen Ekel vor Menschen, die das tun würden.
Wenn man eine deutsche Schuld so konstruiert, wie Leonard Goldmann es getan hat, muss man sich auch darüber im Klaren sein, dass das kein rein deutsches Problem ist. Sollen die Briten sich dafür schuldig fühlen, dass sie um viele Ecken von kolonialer Ausbeutung profitiert haben? Sollen sich die Israelis schuldig fühlen, die in Häusern leben, die vor 70 Jahren palästinensischen Familien gehört haben? Sollen sich Tschechen schuldig fühlen, die in Altbauten im Sudetenland wohnen? Wie viele Jahrhunderte sollte man zurückgehen, um zu schauen, wessen Vorfahren wessen Vorfahren etwas weggenommen haben, und wer folglich „schuldig“ ist?
Nun, bei den Nazi-Problemen denke ich tatsächlich, dass die Bundesregierung bei den Entschädigungen fairer und anständiger hätte sein müssen. Da ist einiges versäumt worden, das, so gut es noch geht, berichtigt werden sollte. Allerdings finde ich es lächerlich, sich für die wirtschaftlichen Profite aus den Nazi-Verbrechen schuldiger zu fühlen, als für die weltweite wirtschaftliche Ausbeutung, von der wir alle profitieren. Das zeigt einen Mangel an Übersicht und moralischer Klarheit.